Ich liebe beide Spielereihen von ganzem Herzen. In Gothic und The Witcher habe ich jeweils unzählige Stundenverbracht – und es werden immer wieder mehr. Diese beiden Reihen haben mein Spielerleben nachhaltig geprägt, nicht nur durch ihr packendes Gameplay, sondern auch durch ihre dichte Atmosphäre, authentische Welten und unvergessliche Charaktere. Aber was viele nicht wissen: Die Witcher-Reihe verdankt Gothic mehr, als man auf den ersten Blick erkennt. Zeit also, diesem Einfluss auf den Grund zu gehen.

Eine Legende inspiriert eine Legende
Als Gothic 2001 erschien, war es ein Phänomen – besonders im deutschsprachigen Raum und in Osteuropa. Die offene, lebendige Spielwelt, das kompromisslose Gamedesign und der unverkennbare raue Ton machten es zu einem Meilenstein der RPG-Geschichte. CD Projekt RED, das polnische Studio hinter The Witcher, war nicht nur Beobachter dieses Erfolgs, sondern bekennender Fan.
"Unser spielerisches Ziel und Traum ist es, das zu kopieren, was wir aus Gothic kennen."
— Adam Badowski, Studioleiter von CD Projekt RED
"Gothic II ist eines meiner absoluten Lieblingsspiele."
— Mateusz Tomaszkiewicz, Lead Quest Designer, The Witcher 3
Schon früh in der Entwicklung des ersten Witcher-Spiels war klar, dass man nicht den Weg von Bethesda (The Elder Scrolls) oder Bioware (Dragon Age) gehen wollte. Stattdessen orientierte man sich an Piranha Bytes' Vorstellung von einer glaubwürdigen, in sich funktionierenden Fantasy-Welt.

CD Projekts Rolle bei der polnischen Gothic-Vertonung
Was viele nicht wissen: Bereits 2001 war CD Projekt direkt an Gothic beteiligt – allerdings nicht als Entwickler, sondern als Publisher und Lokalisierer der polnischen Version. Sie übernahmen die komplette Übersetzung und Synchronisation für den polnischen Markt und engagierten dafür einige der bekanntesten Sprecher des Landes.
Diese Arbeit verschaffte dem Team von CD Projekt früh wertvolle Einblicke in narrative Struktur, Dialogführung und Atmosphäre eines tiefgehenden Rollenspiels. Es war mehr als eine einfache Lokalisierung – es war ein Eintauchen in die Welt von Gothic, das viele spätere Mitarbeiter nachhaltig prägte.
Diese Erfahrung trug dazu bei, dass CD Projekt RED ein tiefes Verständnis für immersives Storytelling und glaubwürdige Fantasy-Welten entwickelte – ein Fundament, das direkt in die Entwicklung von The Witcher einfloss.
Als langjähriger Fan beider Reihen schätze ich diese Verbindung besonders. Die Tatsache, dass CD Projekt einst Gothic in Polen zum Leben erweckte und später mit The Witcher eine eigene, ebenso faszinierende Welt schuf, zeigt, wie Inspiration und Leidenschaft zu außergewöhnlichen Spielerlebnissen führen können.

Die Philosophie: Immersion vor Komfort
Sowohl Gothic als auch The Witcher setzen auf ein Prinzip: Die Welt soll echt wirken. Kein Ort, an dem man einfach durchfliegt, sondern eine Welt mit Regeln, Konsequenzen und Eigenleben.
"Wenn man sich überallhin teleportieren kann, zerstört das die Immersion des Spiels."
— Michał Madej, Lead Designer, The Witcher
In Gothic konnte man sich nur durch harte Arbeit hocharbeiten – das Spiel begann brutal schwer, belohnte aber Beharrlichkeit. Dieses "du bist niemand, du wirst jemand"-Gefühl wurde im Witcher nicht nur mechanisch, sondern auch erzählerisch übernommen: Geralt, der durch seine Taten an Reputation gewinnt, wirkt fast wie ein spiritueller Verwandter des namenlosen Helden.

Gameplay-Parallelen im Vergleich
Eine tabellarische Gegenüberstellung zeigt die ähnlichen Designansätze:
Aspekt | Gothic | The Witcher |
---|---|---|
Open World | Kompakt, aber dicht, ohne Schnellreise | Groß, teilweise Schnellreise, aber mit Fokus auf Erkundung |
NPC-Verhalten | Tagesabläufe, Reaktionen auf Aktionen | Tagesabläufe, Reaktionen auf Waffen, Diebstahl etc. |
Storytelling | Fraktionswahl, Einfluss auf Spielverlauf | Entscheidungsfreiheit mit Auswirkungen auf Story |
Quest-Design | Wenig Handholding, Hinweise durch Dialoge | Verzweigte Quests, oft ohne klare Schwarz/Weiß-Moral |
Weltatmosphäre | Dreckige, glaubhafte Fantasy-Welt | Düstere, slawische Low-Fantasy mit ähnlichem Flair |
Entwicklerliebe aus Polen
Gerade in Polen war Gothic eine Legende. Viele der späteren CD Projekt-Mitarbeiter sind mit den Gothic-Spielen aufgewachsen. In Interviews betonten sie immer wieder, dass sie beim Design der Witcher-Welt, der Fraktionen und der Queststrukturen bewusst auf Gothic geschaut haben.
"Es ist unserem Spiel sehr ähnlich… eine nahezu perfekte Kombination von Handlungsstrang und Freiheit in der offenen Welt."
— Mateusz Tomaszkiewicz über Gothic als Vergleich für Witcher 3
Diese Liebe merkt man. Wer durch Kaer Morhen streift oder in Wyzima umhergeht, spürt denselben rauen, ehrlichen Ton wie im Minental oder im alten Lager. Dialoge sind direkt, Konsequenzen spürbar, die Welt reagiert auf den Spieler – und nicht umgekehrt.

Community und Presse sind sich einig
Auch wenn Gothic international nie den ganz großen Ruhm erhielt wie The Witcher 3, sind sich Spieler und Presse einig: Ohne Gothic kein Witcher.
"Was The Witcher 3 den Kult-RPGs Gothic 1&2 verdankt, wird oft unterschätzt."
— Polygon
"Gothic lief, damit Geralt rennen konnte."
— Reddit-Kommentar mit über 1.000 Upvotes
In Foren, Videos und Artikeln tauchen diese Vergleiche immer wieder auf. Viele sehen Gothic als das konzeptionelle Fundament, auf dem CD Projekt RED mit mehr Ressourcen, Zeit und Technik einen modernen RPG-Giganten bauen konnte.

Mein Fazit als Fan beider Welten
Ich liebe Gothic für seinen Mut, seine Welt und seine unvergleichliche Stimmung. Und ich liebe The Witcher, weil es diese Werte genommen und zu etwas noch Größerem gemacht hat. Es ist kein Zufall, dass ich beide Reihen immer wieder spiele – sie teilen eine gemeinsame Seele.
Dass Entwickler heute über Gothic sprechen wie über ein verlorenes Juwel, macht mich fast ein wenig stolz. Denn für uns Fans war es das schon immer. Und dass diese Liebe in The Witcher weiterlebt, ist vielleicht das schönste Vermächtnis, das man sich als RPG-Spieler wünschen kann.

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Matt McKenzie
Sternenwanderer, Wortschmied – Matt McKenzie erkundet die Grenzen des Vorstellbaren und schreibt darüber, als wäre er mittendrin. Fantasie trifft Technik in der Sternen Schmiede.
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